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Donnerstag, 18. August 2016

Rolling Stone: Der Sommer der Lockvögel



Die Wahlkampagnen von 2016 werden nicht nur bleibende Folgen für die Amerikanische Politik haben. Sie haben auch geschliffen, was von den Medien noch da war. Von Matt Taibbi, 15. August 2016
Vor vielen Jahren, als ich ein Austauschstudent in der Sowjet Union war erklärte mir ein russischer Freund, wie er die Nachrichten erfuhr.

"Für Nachrichten über Russland, Radio Liberty," sagte er. "Für Nachrichten über Amerika, sowjetische Zeitungen." Er lächelte. "Länder lügen über sich selbst und erzählen die Wahrheit nur über die anderen."

Amerikas Medienkonsumenten nähern sich mittlerweile sehr schnell der selben absurden binären Realität. Wir haben heute eine Reihe von Nachrichtenanbietern, die uns die schlechten Nachrichten über die Demokraten näherbringen, und dann noch eine Reihe von Anbieter, die sich der mutigen Berichterstattung verschrieben haben, die Wahrheit über die Republikaner zu berichten.

Wie das alte Sprichwort über Quarterbacks [American Football, d.R.] meint - wer denkt, er hat zwei gute, der hat möglicherweise keinen - bedeutet es im Grunde, dass wir keine vertrauenswürdigen Medien mehr haben. Abgesehen von einigen tapferen Widerstandsnestern sind mittlerweile alle großen Nachrichtenorganisationen voll auf einer der beiden Seiten.

In etwa die letzten vier Wochen an Trump-Hillary Berichterstattung war die vermutlich schlimmste psudojournalistische Lockvogelphase seit dem Vorlauf zum Irakkrieg. Wenn es um politische Medien geht, gibt es inzwischen nichts mehr außer dem Fertigmachen von Trump oder dem Fertigmachen von Hillary.

Man nehme als Beispiel die letzte Nachrichtenwoche:

Die roten [Republikaner, d.R.] Medien bekamen sich nicht mehr ein wegen einer Reihe von E-Mails der Clinton Stiftung, die von Judical Watch (ein Kernmitglied der "riesigen rechten Verschwörung") infolge eines Prozesses zum Informationsfreiheitsgesetzes bekam. Die E-Mails deuten darauf hin, dass die Spender der Stiftung besonderen Zugang zu Hillary Clintons Außenministerium bekamen.

Währenddessen haben die Kabelnachrichtenkanäle MCNBC und CNN, die von den Demokraten zugeneigten Zuschauern gesehen werden, den größten Teil der letzten Woche damit verbracht, Donald Trumps neuesten verbalen Ausrutscher zu analysieren, vor allem den Kommentar mit den "zweiten Verfassungszusatzleuten", mit dem er scheinbar zu Gewalt gegen Hillary Clinton oder ihre Richterbesetzungen aufrief.

So gut wie jede Geschichte auf den nicht-konservativen Kabelkanälen letzte Woche war eine Nachricht aus Perspektive der Demokratischen Partei: Reagans Tochter kritisiert Trumps Kommentare! Mehr Republikaner laufen zu Hillary über! In Erwartung einer Trump Niederlage verschiebt seine Partei die Gelder in Richtung anderer Wahlen! Khizr Khan fordert von McCain, sich von Donald Trump zu distanzieren! Umfrage ergibt, dass Trumps schlimmste Entgleisung die gegen einen behinderten Journalisten war!

Es ist nicht so, dass die Sender Trumps Kommentare nicht auseinanderpflücken sollten. Er verdient es. Aber ist nicht der einzige dumme, lügende, korrupte Politiker auf der Welt, allerdings könnte man genau diesen Eindruck bekommen, wenn gewissen Sendern folgt.

Die Abfolge dieser trumplastigen und dauerhaften Nummern wirken wie ein inverses Fox News. Die kommerziellen Medien haben sich nun endlich selbst abgeschafft, indem sie sich in bemerkenswert humorfreie Propagandaplattformen verwandelten.

Das wichtigste für das Verständnis dieses Wandels besteht darin, dass die Mehrzahl der Medienunternehmen heute weniger linkslastig sind, sondern eher Demokratenlastig.

Es gibt einen großen Unterschied zwischen perspektivischem Journalismus und Wahlwerbung. Es passiert inzwischen nicht nur manchmal, sondern permanent, dass die privaten Nachrichtenorganisationen jene Arbeit kostenlos machen, die früher von den Parteien in Form von Werbung bezahlt werden musste.

In der selben Weise wie Fox früher (und möglicherweise immer noch) Berichterstattungs- Recherchekosten sparten, indem sie ganz einfach die Stichworte der Republikaner runterbeteten, so bringen die blauen [Demokraten, d.R.] Kabelkanäle Segemente und Onlineberichte, die sich immer weniger von den Botschaften der Demokratischen Partei unterscheiden.

Trump hat auf dieses Problem wie ein Nachbrenner gewirkt. Er wird als so gefährlich erachtet, dass viele Journalisten darüber besorgt sind, dass wenn sie die Wahrheit berichten bei negativen Demokratengeschichten welcher Art auch immer, dass sie sich womöglich zum Komplizen machen bei der Wahl des Amerikanischen Hitler.

Das enthält eine gewisse Logik, aber es ist eine falsche Logik. Wenn Journalisten anfangen sich wie Politiker zu benehmen, dann endet es meist damit, dass wir das Land politisch noch mehr vermurksen und die Privatwirtschaft vollends ruinieren.

Unsere Aufgabe besteht darin, herumzuschnüffeln und die Steine umzudrehen und zwar für alle Seiten, so wie Hunde auch alle Feuerhydranten beschnüffeln. Der Versuch in eine andere Rolle zu schlüpfen führt nur zu Ärger. Es ist die mediale Version von Bull Durhams Regel: "Trink nicht, es schadet nur deiner Mannschaft."

Man schaue sich nur die Geschichte von Fox und seinen Satellitenorganisationen an.

Zugegeben, das Murdoch Reich hat sich durchgesetzt und weltweit eine große Machtfülle angehäuft. In den Vereinigten Staaten wurde sein Einfluss auf die Politik unkalkulierbar. Es führte uns in Kriege, lähmte demokratische Präsidentschaften, half dabei Bewegungen aus der Taufe zu heben wie die Tea Party und verbreitete insgesamt genug Desinformation, dass die große Mehrheit der Republikaner noch immer Zweifel hat bezüglich Barack Obamas Geburtsort.

Leider war die Berichterstattung von Fox so überwältigend einseitig, dass sie ihre Überzeugungsfähigkeit gegenüber Nichtkonservativen für alle Zeiten und bei allen Themen verloren haben. Rupert Murdoch ist der personifizierte Junge, der Wolf rief. Selbst wenn Murdoch mit einer richtigen Geschichte aufmacht dann erreicht er trotzdem niemandem, der sich weiter als einen Zentimeter außerhalb seines runtergedummten Publikums befindet.

Noch schlimmer ist, dass wer permanent so schrill ist wie seine Anbieter, dann wird selbst der enthusiastischste Zuschauer irgendwann hindurch sehen.

Das wird zum Problem in Zeiten, wenn es darum geht, das eigene Publikum von einer harten Wahrheit zu überzeugen, denn dann wird es sich als weit weniger loyal erweisen als erwartet. Tief in sich wussten sie die ganze Zeit, dass man nicht wirklich ernstzunehmen ist.

Das passierte im letzten Jahr einigen republikanischen/konservatien Figuren in den Medien.

Die Welt hat vielleicht noch nie ein lauteres Gähnen vom durch die Programme zappenden Publikum gehört als im Januar, als der National Review 20 prominente Konservative unter Führung von Glenn Beck zusammenbrachte, die von den republikanischen Wählern forderten, dass sie gegen Trump eine rote Linie ziehen. Es war eine einmalige Aktion an medialer Einheit und Entschlossenheit.

Trump trat nach belieben über diese rote-Experten-Maginot-Linie und brach direkt durch zur Nominierung.

Es war eine mächtige Lektion. Die Medienmacht basiert auf Vertrauen und Respekt, und beides erodiert schnell, wenn man den Leuten sonst nur gibt was sie hören wollen.

Die Formel für Gewinne im Nachrichtengeschäft ist ausgelaugt. Das Publikum kommerzieller Nachrichtensendungen besteht heute überwiegend aus älteren Zuschauern, die dazu neigen, jenes Programm zu mögen, das einfach nur das Niedermacht, was von jener Partei kommt, auf die sie über die Jahre einen Hass aufgebaut haben, seien es Republikaner oder Demokraten. Das mittlere Alter sowohl bei Fox wie auch MSNBC liegt jenseits der 60.

Das junge Publikum ist dem Medien-wie-Cheerleader Berichterstattungsmodell ganz besonders abgeneigt. Die Zuschauerzahlen bei den Jungen ging in den letzten Jahren rapide zurück, was den Vertrauensverlust in die Politik der beiden großen Parteien wiederspiegelt.

Als "Müll, Lügen, Propaganda, Wiederholungen und langweilig," beschrieb ein Forscher der Universität von Texas die Einstellung von jungen Menschen gegenüber den Nachrichten. Die Nachrichtendirektoren sind, ganz ähnlich wie die Führer der republikanischen und demokratischen Partei, völlig ungerührt angesichts der sich verändernden Konsumgewohnheiten ihres zukünftigen Publikums.

In fünf bis zehn Jahren werden sie einen gewaltigen Schock erleben, wenn bei weitem mehr Personen als heute ihre Nachrichten von unabhängigen Internetanbietern bekommen, sei es über Videospiele, oder Onlineverkaufsplattformen, als von Leuten wie Wolf Blitzer.

Sicherlich wird das nichts daran ändern, wenn die "MSM" vollends in eine Art McDonalds/Burger King Konstellation degenerieren, in der sich die großen Medienunternehmen Trump oder Hillary Plattformen verwandeln. Es ist dabei unwichtig, ob sie sich damit langweilig machen. Viel wichtiger ist die Frage, wie wir dann herausfinden sollen, wenn ein wirklicher Skandal eintritt?

Das zukünftige Modell wird wahrscheinlich beinhalten, dass die republikanischen Medien über die demokratische Korruption berichten und die demokratischen Medien über die republikanische Korruption berichten. Das aber wird nicht funktionieren.

Zum einen, weil wenn die meisten Mitarbeiter den ganzen Tag lang damit beschäftigt sind negative Geschichten über Republikaner zu finden, dann senkt das dramatisch die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch über Quellen mit Informationen über demokratische Korruption verfügen.

Dazu kommt, dass selbst wenn man sich die Mühe macht beide Seiten anzuschauen, dann müssen die Geschichten von den Anbietern im Spektrum so ausgesucht werden, dass sie die größte Wirkung haben. In einer zweigeteilten Medienwelt geht das immer weniger.

Letztes Jahr wagte sich die New York Times an das Material für "Clinton Cash" [eine Dokumentation über die Machenschaften der Clinton Stiftung, d.R.] und der potentiell schädlichen "Uranium One" Geschiche über eine Reihe von verdächtigen Spenden an die Clinton Stiftung. Die Geschichte wurde akkurat berichtet und zwang die Clinton Kampagne dazu öffentlich "Fehler" einzugestehen.

Die Antworten anderer nichtkonservatier Medienanbieter bestand überwiegend in Schweigen und/oder Schadenskontrolle. Dadurch wurde die Geschichte zum Fressen für die Washington Times, Breitbart und den Daily Caller, wodurch sie vom überwiegenden Teil der blauen [linken, d.R.] Zuschauer widerum automatisch als illegtim abgehakt wurde.

Einige Leute werden vielleicht einwenden, dass die Uranion One/Clinton Stiftung Sache einfach keinen Nachrichtenwert hatte. Vielleicht ist dem so. Wie aber sollen wir es erfahren?

Das rechte Publikum hat bereits die meisten Enthüllungen über Republikaner unabhängig von der Quelle der Nachricht abgehakt. Das heisst, selbst potenziell desaströse Geschichten, wie der verstörende Prozess gegen Trump wegen sexuellen Fehlverhaltens und die Sache mit dem berüchtigten Jeffrey Epstein mit einer 13 jährigen und einem erwachsenen Zeugen fallen durchs Raster mit dem Argument übertriebener politischer Berichterstattung.

Die Öffentlichkeit hasst uns Journalisten in guten Zeiten, wenn wir einfach nur unser Arbeit machen, da wir verschwörerische, aufdringliche Wichtigtuer sind, die sich immer und ewig in die Belange anderer Leute einmischen.

Der Sommer von Trump aber könnte sich für die Presse leicht in einen Alamo Moment entwickeln. Es gibt Journalisten, die sich wortlos selbst versprachen, dass sie ab November wieder unabhängig und über den Dingen stehend berichtet werden, nachdem wir die Gefahr der Trump Präsidentschaft hinter uns haben.

Allerdings muss man nur den National Review fragen: Steht man erst einmal auf der Seite der Politiker, dann ist es nicht leicht, wieder rauszukommen. Und was werden sie dann von uns denken? Gibt es ein Wort für "wertloser als Dreck?"


Im Original: The Summer of the Shill

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