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Samstag, 18. Juni 2016

Harper's Magazine: Wir haben keine Rechte, aber wir sind am leben, Teil 1



Ein schwuler Soldat in Assads Armee. Von James Harkin, Februar 2016


Als ich Hassan, einen 24 Jahre alten Journalisten eines lokalen TV Senders in Damaskus fragte, ob er mich einigen Mitglieder der Schwulengemeinde Syriens vorstellen würde, da nahm er mich mit zu einer anonym aussehenden Bar im Herzen der Altstadt der syrischen Hauptstadt. Kennengelernt habe ich ihn zwei Jahre davor, im September 2013, als ich mit einem Journalistenvisum des syrischen Regimes in Damaskus weilte. Wir hingen eine Woche lang miteinander herum, meist in dieser Bar und ich lernte ein paar seiner Freunde und seine Familie kennen. Daher hat es mich überrascht, als er mir kurz nachdem wir die Spelunke betraten und einen Platz fanden in die Augen blickte und todernst sagte "Du weist aber, dass ich schwul bin, oder?"

Diese Art vorsichtig choreografierter Offenbarungen passieren in Damaskus, wo Homosexualität illegal ist die ganze Zeit. Ich hatte keine Ahnung, dass Hassan - übrigens nicht sein richtiger Name - schwul war und ich war nicht der einzige: Es gab viele Menschen in seinem Leben, die es nicht wussten. Sein bester Freund war unverfroren homophob und erzählte ihm einmal, dass er sich niemals mit einem Schwulen anfreunden würde. Trotzdem begannen die beiden vor kurzem in einem Bett zu schlafen. "Nur schlafen," erklärte Hassan mit einem nervösen Kichern. Eigentlich schüchtern und kokket hatte er auch die Neigung über fast alles zu lachen. "Wir sind jetzt Mitbewohner."

Wie in allen Ländern, in denen das schwule Leben unterdrückt wird hat auch die Homosexuellenszene Syriens ihre eigene Sprache entwickelt. Das arabische Wort "jaw" bedeutet "Wetter", wird aber auch dazu benutzt, jemanden als schwul zu bezeichnen. "Er ist jaw bedeutet 'Er gehört zur Gemeinde,'" sagte mir Hassan. Der Schein ist aber nur oberflächlich. Schwule Männer kleiden sich in der Regel besser sagte Hassan - der schon länger vermutete, ich sei hetero. Obwohl es keine expliziten Schwulenbars in Damaskus gibt, so gibt es immerhin Orte wie die Altstadtbar, die man als "schwulenfreundlich" bezeichnen kann. Eine junge Meute, überwiegend schwule Männer, trifft sich hier mindestens zwei Mal die Woche. "Fünfzig, sechzig, siebzig - viele Leute," meinte eine rundäugige huttragende Bedienung, den ich auf meinem ersten Trip nach Syrien auch kennenlernte. "Alles passiert hier drinne."

"Außer ficken," sagte Hassan mit einem Stöhnen. Es war Ramadan und die einzigen Gäste in der Bar waren zwei Männer, die ein paar Meter weit weg zusammengekauert auf einem Sofa saßen und still im Internet surften. Trotz der diskreten Atmosphäre - feine Wandbeleuchtung; sanfte, fast unhörbare Electronica; wenige kunstartige Bilder halbnackter Frauen - war ich ersaunt, wie beiläufig Hassan und die Bedienung das Thema ansprachen, ein Thema, das immerhin offiziell verboten war. Es schien unnormal in einer Stadt, die sich manchmal anfühlt, als würde jeder jeden bespitzeln. Als ich die Bedienung fragte, ob sie Angst hätte vor der Geheimpolizei, oder den Muchabarat (die syrische Geheimpolizei, d.R.), da schaute sie ungläubig. Diese seien hier willkommen, wie jeder andere auch. "Welcher Muchabarat will schon Schwule kennenlernen?" Weder sie noch Hassan, wie herauskam, hatten jemals von jemandem gehört, der wegen Homosexualität verurteilt worden wäre.

Tatsächlich war die junge Klientel der Bar, egal ob schwul oder nicht überwiegend - wenn auch nicht allzu enthusiastische - Unterstützer des Regimes von Präsident Bashar al-Assad. Es waren Assads Muchabarat, deren Folter an Kindern in Daraa, der Stadt im Süden den Aufstand von 2011 ausgelöst hat, und deren strenge Unterdrückung der überwiegend friedlichen Proteste danach, wie auch die Inhaftierung tausender Syrer so viel beitrugen, dass das Land danach in einen Bürgerkrieg abgleitete.

Für Syrer wie Hassan allerdings wurde der bewaffnete Aufstand zum Spielball externer Mächter und sein Land das Spielfeld ausländischer Dschihadisten, die Menschen wie ihn einfach nur vernichten wollen. Wie viele andere stammte seine Unterstützung für die Regierung nicht von einer tiefen Sympathie für Assad und sein korruptes und rücksichtsloses Regime, sondern vom allgemeinen Patriotismus, der einen pragmatischen Glauben in die Institutionen des syrischen Staates - insbesondere die Armee - erzeugte, da sie die einzigen sind, die das Land zusammenhalten.

Darüber hinaus wurde in den letzten Monaten klar, dass die Alternativen zu Assad bei weitem schlimmer sind. Der Islamische Staat, der heute den Großteil des Nordens von Syrien kontrolliert erachtet Homosexualität als eine Abartigkeit, die mit dem Tod bestraft werden muss. Ende 2014 begann die Gruppe damit, eine Reihe von Videos und Fotos zu veröffentlichen, auf denen angeblich schwule Männer zu sehen sind, wie sie mit verbundenen Augen und Händen von Hausdächern gestossen werden- Jene, die den Sturz überlebten wurden danach von der Menge in der Strasse zu Tode gesteinigt. Auf einigen Fotos umarmen die maskierten Männer des Islamischen Staates ihre Opfer als würden sie ihnen vergeben, um sie dann zu töten.

Hassan sah die Bilder. "Scheiss Daesh," sagte er mir und benutzte dabei den Begriff für den Islamischen Staat, der von seinen Gegnern verwendet wird, da es bedeutet "Frömmler, die anderen ihre Ansichten aufzwingen wollen." Das Sexleben der Kämpfer, so war er sicher, sei skandalöser als das aller anderen: "Affen und Ziegen. In Rakka" - der de facto Hauptstadt des selbsterklärten Kalifats - "dort treiben sie es. Hast du das Video gesehen?" Er bezog sich auf Material, dass im syrischen Internet die Runde machte. Ich sagte ihm, das Video sähe aus wie eine Fälschung, aber ihn überzeugte das nicht; er und die Bedienung lachten dazu hysterisch. "Wie Pferde ficken," sagte Hassan. "In Amerika machen sie das irgendwo." Ich ging darauf ein und schlug vor, dass die Syrische Armee ein eigenes Schwulenbatallion aufstellen sollte. Der Bedienung schien die Idee zu gefallen. "Jabhat Gayat" ("Die Schwulenfront") schlug sie vor und ein Seitenhieb auf den Namen des syrischen Al Kaida Ablegers Jabhat al-Nusra.

Falls ich wirklich etwas über den Islamischen Staat lernen wollte sagte mir Hassan, dann sollte ich mit seinem Freund Samir sprechen, einem jungen, schwulen Soldaten in der Syrischen Armee, der die letzten vier Jahre ununterbrochen gegen die Dschihadisten kämpfte. Samir, ein bärtiger und muskulöser Mann kam dann bald mit einem Freund zur Bar. Ich sagte, ich hörte bereits von ihm. "Ernsthaft?" fragte er mit gespieltem Schock. "Jeder kennt mich." Als ich ihm anbot ihn auf ein Getränk einzuladen lehnte er ab: Es war Ramadan und er fastete. Das lag nicht an seiner muslimischen Pietät, wie erklärte, sondern weil er versucht, seinen neuen Freund, einen 20 jährigen religiösen Kunststudenten jeden Tag in seinem Urlaub zu sehen. Das Fasten beinhaltete die Enthaltsamkeit beim Sex, aber Samir schien das nichts auszumachen. In ihrer Beziehung "geht es nicht um Sex," sagte er. "Es geht um Gefühle."

Die Bar schloss gerade und so entschlossen wir zu meinem Hotel in Bab Touma, dem Christenviertel von Damaskus zurückzulaufen. Samir beichtete vor kurzem seine Neigung gerade dem Freund mit dem er ankam; aber seinem Lächeln zu beurteilen wurde die Nachricht gut aufgenommen. Als wir durch die wuseligen Gassen der Altadtadt gingen verschob sich das Gespräch hin zur Politik und dem Krieg. "Ich habe auch in Rakka gedient," sagte Samir. "Ich stand den Daesh Leuten direkt gegenüber. Ohne Maske." Wie Hassan war auch Samir ein Unterstützer der syrischen Regierung und er schien von der US-geführten Koalition gegen den Islamischen Staat recht unbeeindruckt zu sein. "Die Amerikaner behaupten, sie würden gegen den Daesh kämpfen, aber sie werfen ihre Bomben in der Wüste ab," sagte er.

"Sie machen gar nichts." Er ärgerte sich auch über die Gerüchte, wonach das Assadregime heimlich mit dem Islamischen Staat zusammenarbeitet. Sechs Monate davor traf er eine Frau von den Vereinten Nationen, die ihm mitteilte, dass die Syrische Armee nicht wirklich die Dschihadisten bekämpfen würde. "Was meinst du, machen wir denn sonst in Deir al-Zor?" fragte er sie, wobei er sich auf die nordöstliche Provinz bezog, die größtenteils unter Kontrolle des Islamischen Staates steht. "Die ganze Welt zerreisst Syrien," sagte er mir. Er war den Tränen nahe. "Mein Land wird zerrissen und es gibt nichts was wir tun könnten."


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Im Original: We Don’t Have Rights, But We Are Alive

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