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Dienstag, 3. Mai 2016

New York Times: Als Schwarzer in Algerien? Dann sollte man besser Moslem sein




Von Kamel Daoud, 2. Mai 2016


Seit einigen Jahren nun kommen Migrantenfamilien aus der Subsahara auf großen Strassenkreuzungen in den großen Städten von Nordalgerien zusammen. Sie betteln um Almosen und tragen dabei groteske Outfits: Übergroße Verschleierungen für Frauen und selbst kleine Mädchen; Baumwolldjellabas für die Männer; Gebetsketten werden demonstrativ vorgezeigt. Das Wort "Allah" kommt viel zu schnell über die Lippen wie auch falsche Zitate aus dem Koran.

Viele schwarze Migranten, auch die nicht-muslimischen, schmücken sich mit Symbolen des Islam, um bei den Algeriern den Sinn für Wohltätigkeit zu wecken. Warum? Weil Armut besser hilft, in eine Kultur zu ködern als Reflektion, und Migranten angesichts ihres Mangels an Unterkünften und Nahrung es sehr schnell begreifen dass es in Algerien sehr oft keine Empathie zwischen den Menschen gibt, sondern nur Empathie zwischen Menschen der selben Religion.

Ein anderes Beispiel: Im Oktober wurde Frau aus Kamerun in Oran von einer Gruppe Männern vergewaltigt, die sie mit einem Hund bedrohten. Als sie versuchte, eine Anzeige zu erstatten wurde sie aus zwei Gründen zurückgewiesen: Sie hatte keine Papiere und sie war kein Moslem.

Der Marie-Simone Fall wurde zur öffentlichen Angelegenheit und das Opfer konnte schlussendlich mit der Hilfe einiger Algerier zur Gerechtigkeit gelangen. Aber es bleibt eine Ausnahme.

Es war aber nicht immer so. Jahrzehntelang begegneten Algerier Schwarzen mit einer gewissen Distanz; erst in den letzten Jahren schlug es um in eine gewalttätige Ablehnung. Es gibt keine zuverlässigen offiziellen Statistiken, aber viele Migranten hier kommen aus Mali, dem Niger und Libyen, und ihre Anzahl steig in den letzten Jahren, teilweise aufgrund der Instabilität in den Nachbarländern, insbesondere Libyen, das einst ein Zentrum der Migration nach Europa war.


In Europa können die Migranten versuchen, den Humanitarismus und Schuldkomplex ihrer Gastgeber auszunutzen, aber im heutigen Algerien funktioniert dies nur aus der Sichtweise des Glaubens. Im Westen basiert Rassismus auf der Hautfarbe; in arabischen Ländern besteht er in der Religion.

Und doch haben beide Formen von Rassismus etwas gemein: Westler verleugnen Araber (oder klagen sie an) und Araber widerum verleugnen schwarze Afrikaner (oder klagen sie an). Gibt es da einen Kausalzusammenhang? Ist es ein Dominoeffekt der Verachtung? Vielleicht. Jedenfalls sind die Parallelen und Nachahmungen verstörend.

Aber solche Komplexitäten bedeuten wenig in diesem Land und sie werden leicht übersehen. Obwohl viele algerische Moslems weder sektiererisch noch rassistisch sind, so haben sie nur wenig Einfluss auf die Eliten und den öffentlichen Diskurs. Extremistische Positionen stechen mehr hervor, als moderate religiöse Sichtweisen.

Im Endergebnis wird der Diskurs in Medien und unter Intellektuellen in Algerien wie auch anderen arabischen Ländern in kleine Häppchen zerteilt. Einerseits gibt es vielbeachtete Artikel über den Rassismus in Europa am Beispiel des "Dschungel", einem Migrantenlager in Calais, das als eine Art Konzentrationslager dargestellt werden und mit abwegigen Analysen präsentiert werden: "Keine Arbeit in Frankreich für arabische oder afrikanische Personen," meinte die Überschrift einer islamistischen Zeitung im Februar. Andererseits gibt es keinen Mangel an Ku-Klux-Klan würdigen Argumeten zu den Gefahren durch die Schwarzen, ihren angenommenen Mangel an Zivilisiertheit und die Verbrechen und Krankheiten, die mit ihnen ins Land kommen.

Diese Duplizität ist seltsam, aber vor allem ist sie bequem und zerstörerisch. Nachdem ein nigerianischer Migrant Anfang März einen Algerier in Ouargla umbrachte, einer der wichtigsten Städte des Landes in der Sahara Region, gab es Zusammenstösse mit Anwohnern und schwarzen Migranten. Die Nachricht über den Mord bauschte sich schnell auf in eine allgemeine Rachlust inklusive einer Migrantenjagt durch die Strassen (mit Dutzenden verletzten) und einem Angriff auf ein Migrantenlager.

Die Behörden ordneten eine umfangreiche Umsiedelung von Migranten in eine weiter südlich gelegene Stadt an - der Standardmassnahme vor einer Ausweisung aus dem Land. Vergleichbare Ereignisse gab es später in Bechar in Westalgerien.

Diese Welle an Xenophobie, wenn auch einmalig in ihrer Gewalt, verursachte Chaos in Algeriens Sahara Region ohne allzu viele Wellen zu schlagen. Die Anklage des Rassismus bleibt den Verbrechen des Westens vorbehalten. Was das eine Mal ein Missbrauch darstellt wird das nächste Mal zur Notwendigkeit.

Aber wie kommt es, dass jemand etwas bei anderen verurteilt was er selbst macht, und das offenbar völlig ohne Schuldgefühle? Wie können Opfer von Rassismus selbst eine rassistische Mentalität entwickeln?

Die sekulären und liken Eliten Algeriens wurden kurzsichtig von ihrem Blick auf die Welt alleine aus der Ecke des kolonialen Traumas. Sie können die Schwarzafrikaner entweder als ehemalige, dekolonisierte Untertanen betrachten, oder als Agenten der Dekolonisierung, jedenfalls können sie diese nur verteidigen oder idealisieren. Schwarze werden nichteinmal mehr länger als anders gesehen; sie sind nur eine weitere Instanz der eigenen Gedankenwelt.

In ihrem anti-westlichen Duktus denken Algeriens Gutmenschen, dass sie die Schwarzen beschützen indem sie den bestehenden Rassismus verurteilen. Doch sie würden nie eines der öden Migrantenlager besuchen und noch viel weniger mit den Schwarzen zusammenleben, oder es gar zulassen dass ihre Töchter einen von ihnen heiraten oder überhaupt die Hand eines Schwarzen schütteln. Sekuläre Algerier beziehen sich bei Schwarzafrikanern oft auf "Afrikaner", als läge der Maghreb auf einem anderen Kontinent.

Religiöse Fundamentalisten sind nicht weniger rassistisch: Bei der Gelegenheit eines Fussballspiels zwischen einer algerischen und malischen Mannschaft im November 2014 veröffentlichte die islamistische Tageszeitung Echourouk ein Bild einiger malischer Fans mit der Untertitelung "Keine Begrüßung, kein Willkommen. AIDS hinter euch, Ebola vor euch." Aber die Vorurteile der Fundamentalisten führte zu anderen Schlussfolgerungen, die so einfach wie monströs sind: Entweder jemand ist ein Moslem, oder er ist überhaupt nicht.

Religiöse Konservative sehen Schwarze wie auch die sekulären Eliten als Opfer von Ungerechtigkeit verursacht durch weiße Kolonisten aber für sie kann die Erlösung nur durch Allah kommen. Ihre Propaganda bezieht sich oft auf ein Beispiel aus der Mythologie des frühen Islam: Bilal, der schwarze abyssinische Skklave, dessen religiöse Konversion ihn zur Emanzipation führte.

Außer, dass auf jeden Bilal Millionen andere Schwarze kommen, darunter auch Islamkonvertiten die über Generationen in der Sklaverei verharrten. Das Thema der Sklaverei ist in den arabischen Gesellschaften heute noch immer ein Tabu, oder es wird übertroffen von der Verurteilung der westlichen Sklaverei.

Es bleibt eine Tatsache für Schwarze, dass die Annahme des Islam für sie keine Garantie für Sicherheit ist. Verübt einer von ihnen ein Verbrechen, dann genügt es um hunderte auszuweisen. Die Strafexpedition brach in Bechar an einem Freitag aus, dem wöchentlichen Hauptgebetstag für Moslems, nachdem in Predigten zur Säuberung der Unsitten der Migranten aufgerufen wurde, die als unmoralisch gesehen werden. Für religiöse Konservative hält die Kultur schwarze Migranten von der strikten religiösen Orthodoxie ab - selbst jene aus der Sub-Sahara, die Moslems sind, sind nicht wirklich Moslems.


Kamel Daoud ist Kolumnist für Quotidien d’Oran und Autor des Romans “The Meursault Investigation.”


Im Original: Black in Algeria? Then You’d Better Be Muslim

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